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Jugend ohne Gott

Kapitel 7 + 8: »Der Tormann« und »Der totale Krieg«

Zusammenfassung

Am nächsten Morgen wird der Lehrer bei seiner Rückkehr nach Hause bereits vom Vater seines erkrankten Schülers W. erwartet. Der Vater erzählt ihm, dass sein Sohn im Sterben liege, nachdem er sich im Stadion beim Fussballspiel vor acht Tagen eine Lungenentzündung zugezogen hatte. Nun haben die Ärzte ihm mitgeteilt, dass nur noch ein Wunder seinen Sohn retten könne. In den kurzen Phasen, die er zwischen den Fieberphantasien noch bei Bewusstsein ist, wünscht er sich immer, den Tormann zu sehen, der am letzten Sonntag so gut gespielt habe. Der Vater bittet nun den Lehrer, ihm zu helfen, seinem sterbenden Sohn diesen letzten Wunsch zu erfüllen.

Der Lehrer weiß, wo der Tormann wohnt und geht sofort zu ihm und dieser ist auch sogleich bereit, ihn zu dem sterbenden Jungen zu begleiten. Dem Lehrer fällt bei seinem Anblick ein, dass er der Kleinste in der Klasse ist.

Auf die Fragen des Jungen beginnt der Tormann, Anekdoten und Geschichten von Siegen, Niederlagen, Erlebnissen bei wichtigen Spielen und Reisen in ferne Länder zu erzählen. Während er erzählt, schläft der kleine Schüler W friedlich ein und stirbt.

Zu seinem Begräbnis kommt die ganze Schulklasse, auch der Schuldirektor und fast alle Lehrer sind versammelt, und auf dem Grab liegt ein Kranz mit letzten Grüßen des Tormanns. Während der Grabrede des Pfarrers fällt dem Lehrer auf, dass der Schüler N ihn mit ausdrucksloser Miene anstarrt. Wieder fühlt er sich von ihm verfolgt und bedroht, spürt, dass er ihn als seinen Todfeind ansieht, ihn vernichten möchte und ihn auch in ein Grab wünscht. Während er sich noch in Gedanken gegen den Hass des Schülers N zur Wehr setzt und sich selbst dazu aufruft, seine Ideale für sich zu behalten und sich auch sonst nichts anmerken zu lassen, bemerkt er den Blick eines weiteren Schülers, T. Auch dieser beobachtet ihn, spöttisch und überlegen lächelnd, aus hellen runden Augen, die »ohne Schimmer, ohne Glanz« (31) sind und die den Erzähler an das von Julius Caesar vorhergesagte »Zeitalter der Fische« erinnert.

In den Osterferien muss der Lehrer seine Klasse für 10 Tage in ein Zeltlager begleiten, das seit einer staatlichen Anordnung vor drei Jahren der vormilitärischen Ausbildung der Jugend dient. Unter Aufsicht eines Feldwebels im Ruhestand lernen sie dort, zu exerzieren, zu marschieren und auch zu schießen.
Sie werden dort vom Gendarmerieinspektor, vom Pfarrer, vom Lehrer und vom Bürgermeister des nahen Dorfes empfangen, die ihnen von der wirtschaftlichen Not der Bewohner erzählen, von den vielen Arbeitslosen und unterernährten Kindern, seit das örtliche Sägewerk vor einem Jahr geschlossen wurde. Der Pfarrer weist außerdem darauf hin, dass ganz in der Nähe in einem Schloss gerade auch ein Mädchen-Ferienlager stattfindet und warnt den Lehrer davor, hier besonders aufzupassen.

Die Schüler bauen zusammen mit dem Feldwebel und zwei Pionieren ihre Zeltstadt auf, in der Mitte hissen sie eine Fahne und singen abends Soldatenlieder. Beim Anblick der Kisten mit Gewehren und den Schießscheiben, für die hölzerne Soldaten in fremden Uniformen genutzt werden, reflektiert der Lehrer, dass damit also nun der Ernst beginne und es sich bereits um Kriegsvorbereitungen handele, auch wenn noch nicht klar sei, gegen wen er sich richte und wo die Front sei. Auf der Zeltwand neben sich entdeckt der Lehrer einen braunroten Fleck und fragt sich, ob das wohl Blut sei.

Abends denkt der Lehrer an seinen verstorbenen Schüler W, ihm wird klar, dass dieser nicht nur der Kleinste, sondern auch der »Freundlichste« (24) war, der sich von den anderen auch darin unterschied, dass er ihre rassistischen Einstellungen nicht teilte. Ihm kommt der Gedanke, dass er wohl daher nicht zu ihnen passte und sterben musste.

Analyse

Auch wenn der erste Teil dieses Kapitels durch die Sport-Thematik wie ein Exkurs im Roman steht, wirkt auch hier die titelgebende Annahme »Jugend ohne Gott« weiter. Denn hier ist es ein Tormann, der den Platz des Pfarrers einnimmt und der den kleinen W begleitet und ihn friedlich einschlafen lässt.

Bei der anschließenden Beerdigung fühlt der Lehrer wieder den Hass im Blick des Schülers N, von dem er sich verfolgt fühlt und dessen Gesicht genauso ausdruckslos ist, wie das unbewegliche »Antlitz der Fische«, das Julius Caesar für das »Zeitalter der Fische« vorhergesagt hatte (vgl. 27).
Die Reflexionen des Lehrers über N und seinen Vernichtungswillen gegen ihn sind, wie häufig bei den Gedanken auf der Reflexionsebene, mit einem abrupten Tempuswechsel ins Präsens verbunden. Der Lehrer spricht hier auch wieder den Generationenkonflikt an, der sich für ihn an seiner Feindschaft mit N besonders manifestiert: »Es werden auch nach einem N noch welche kommen, andere Generationen – glaub nur ja nicht, Freund N, daß du meine Ideale überleben wirst!« (31) Für den Moment aber entscheidet sich der Lehrer, seine Ideale zu verschweigen und für sich zu behalten.

Vor allem wird in diesem Kapitel das neben dem Motiv der Fische wichtige Leitmotiv der Augen eingeführt. Die hellen, runden, ausdruckslosen Augen des Schülers T, die ohne Schimmer und Glanz starr beobachten, ziehen sich durch den weiteren Roman. In der Figur des Schülers T mit seinen »Fischaugen« finden also beide Motive eine Verbindung: »Die Metapher der Fischaugen wird zu einem Symbol für die extreme Gefühlskälte Ts, der alles distanziert beobachtet« (Kaul/Pahmeier, S. 25).
Auch hier, wie später im Zeltlager, fragt sich der Lehrer, ob T seine Gedanken erraten könne oder durch sein ständiges Beobachten mehr wisse über die Dinge, die um ihn herum geschehen. Beide Schüler, N und T, die in diesem Kapitel aus dem bisher anonymen Klassenverband heraustreten, werden sich im Folgenden immer deutlicher zu Gegenspielern des Lehrers positionieren (vgl. Schlemmer, S. 21).

Mit dem nächsten Kapitel beginnt der zweite Handlungsabschnitt des Romans, damit ändert sich auch der Schauplatz, der sich von der Schule in ein vormilitärisches Zeltlager verlagert. Am Ende des ersten wie auch des zweiten Handlungsabschnitts steht mit dem Tod von W und dem Mord an N jeweils der Tod eines Schülers.
Dies und auch die Überschrift des Kapitels weist darauf hin, dass der Staatsapparat immer stärker in das Leben der Schüler eingreift und nach und nach mit seiner totalitären Ideologie die gesamte Erziehung der Jugend übernimmt. Als historisches Vorbild für das Zeltlager im Roman kann das Hochlandlager der Hitlerjugend 1934 in der Nähe von Murnau gedient haben, wo vom 4.-28. August 1934 6.000 Jungen eine vormilitärische Ausbildung erhielten (vgl. Tworek, Kommentar zu 188).

Der Titel des Kapitels zeigt auch, dass alle Bestrebungen des totalitären Regimes auf die Vorbereitungen eines neuen Krieges ausgerichtet sind. Er bezieht sich auf den Titel eines Buches vom ehemaligen Chef des Generalstabes Erich von Ludendorff. Da die Rede des NS-Propagandaministers Goebbels mit der Ausrufung des »totalen Krieges» erst am 18. Februar 1943 stattfand, also nach dem Erscheinen des Buches, bezieht sich »total» hier eher auf ein Ausweiten der staatlichen Kriegsvorbereitungen auf alle Lebensbereiche, so auch die Schulferien, die nun dem militärischen Drill der Jugend dienen. Ab 14 Jahren wird hier sogar schon das Schießen auf »hölzerne Soldaten in einer fremden Uniform« (34) geübt: »Die Schüler schießen also nicht auf Scheiben, sondern auf Darstellungen von fremden Menschen, werden also zum Töten von Menschen erzogen« (Kaul/Pahmeier, S. 26). Auch dem Lehrer wird diese Entwicklung bewusst, als er die Kiste mit den Gewehren sieht: »In einer Kiste neben der Fahnenstange liegt der Krieg. Ja, der Krieg. Wir stehen im Feld« (35). Noch fragt er sich, wo wohl die Front sei. Doch der braunrote Fleck an seiner Zeltwand, der ihn an Blut denken lässt, weist in die Richtung eines kommenden Krieges, der schon jetzt die komplett militarisierte Gesellschaft und mehr und mehr auch das Bewusstsein der Jugend bestimmt.

Bereits bei der Ankunft wird der Lehrer vom Bürgermeister auf die sozialen Probleme der Region aufgrund des geschlossenen Sägewerks aufmerksam gemacht, die in großem Gegensatz zur schönen Natur stehen. Er wird bereits auf die vielen Heimarbeiter hingewiesen, deren Puppen bemalende Kinder auf ihn später einen so großen Eindruck machen werden und die eines der deutlichsten Beispiele für die sozialkritische Handlungsstruktur des Romans sind.
Hier findet auch schon die erste Begegnung mit dem Pfarrer statt, der ihn auf einen Wein einlädt, und der später mit dem gemeinsamen Gespräch dem Weg des Lehrers zurück zu Gott einen ersten Anstoß geben wird. Auch erwähnt er bereits das Mädchenlager im Schloss, das später Anlass für die Reflexion des negativen Frauenbildes sein wird, das sowohl der Lehrer als auch Julius Caesar teilen.

Veröffentlicht am 25. Oktober 2023. Zuletzt aktualisiert am 25. Oktober 2023.