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Jugend ohne Gott

Sprache und Stil

 »Jugend ohne Gott« wirkt zunächst aufgrund seines geringen Seitenumfangs, der klar strukturierten Form mit 44 meist sehr kurzen Kapiteln, der auf den ersten Blick einfachen, fast reduzierten Sprache mit kurzen Sätzen als einfach zu lesender Text. Stilistisch wirkt der Roman etwas unterkühlt, ohne viele Ausschmückungen durch Adjektive. Dies lässt leicht übersehen, dass der Roman sowohl formal als auch sprachlich und stilistisch genau durchkomponiert ist, Sprache sehr bewusst einsetzt und ein sehr dichtes Bedeutungsgewebe von Motiven, Metaphern und Verweisen hat.

Am auffälligsten ist die häufig dialogische oder monologische Form, die auch nicht von einleitenden Verben begleitet wird, oft sogar nicht einmal in fortlaufendem Fließtext steht, sondern wie in der dramatischen Form untereinander gereiht steht. Dies erinnert stark an Theaterszenen und verweist auf den Hintergrund des Autors als einer der bekanntesten Dramatiker seiner Zeit, der mit seinen Volksstücken bekannt geworden war. Die monologischen Teile des Textes bestehen meist aus inneren Monologen des personalen Ich-Erzählers, die einen direkten Zugang zu seinem Denken und Fühlen, ohne Distanz, aber auch ohne einführende oder begleitende Satzstrukturen ermöglichen.

Bei genauer Betrachtung des Satzbaus und der Wortwahl fällt das Vorherrschen einer parataktischen Satzstruktur auf, mit vielen kurzen, aneinandergereihten Sätzen, die oft Ellipsen oder Anakoluthe aufweisen, vor allem, wenn es sich um Einblicke in die Gedankenwelt des Erzählers durch innere Monologe handelt:

    Ich gehe nicht hin. [...]
    Sie hat herrliche Beine.
    Geh hin!
    Ja, sofort – (70)

Die häufigen Wiederholungen sind auch ein auffälliges Stilmittel, sowohl bei der Wortwahl als auch auf der Ebene der Syntax. In der Waldszene, als der Ich-Erzähler heimlich das Liebespaar Eva und Z beobachtet, strukturieren diese Wiederholungen der bangen Fragen an sich selbst und die gehäuften Anaphern am Satzanfang den inneren Monolog. Sie intensivieren gleichzeitig die so erzeugte Atmosphäre der Angst und Unsicherheit:

    Ich taste weiter - da, ich zucke entsetzt zurück!
    Wer war das?!
    [...]
    Ich möchte rufen, laut, laut - aber ich beherrsche mich.
    Wer war das?
    Nein, das war kein Baum!
    Mit der vorgestreckten Hand faßte ich in ein Gesicht.
    Ich zittere.
    Wer steht da vor mir?
    Ich wage nicht mehr, weiterzugehen.
    Wer ist das?! (70 f.)

Es gibt im Roman an zahlreichen Stellen Anklänge an die Sprache der NS-Diktatur, wenn auch keine explizite Erwähnung etwa von realen Namen oder Organisationen.
Auch werden Textstellen mit Bezug zur faschistischen Diktatur oft durch Verkleinerungsformen ironisiert, beispielsweise die Wiederholung der hohlen ideologischen Phrasen in den Schüleraufsätzen als »diese[r] liebliche[ ] Gesang[ ]« (11). Die Fahne des Regimes (Anspielung auf die Hakenkreuzfahne im NS-Regime) als »Fähnchen« (107).
Auch die Abkürzungen, beispielsweise der Schülernamen, verweisen auf die Häufung von »NS-sprachliche[n] Abkürzungen« (Krischel, S. 83).

Begriffe mit Anklang an die NS-Sprache finden sich vor allem in den Dialogen mit Bäckermeister N, der diese ideologischen Parolen ungefiltert in sein eigenes Weltbild übernimmt und die Ideologie auch mit Methoden wie der Bespitzelung und unverhüllten Drohungen auslebt. So bezichtigt er den Lehrer der »Sabotage am Vaterland« (16) und wittert unter dem Lehrpersonal der Schule noch »lauter getarnte [...] Staatsfeinde [...]« und fordert daher eine »Durchsiebung der Lehrer« (80). 

Auch in Begriffen wie »Pest« oder »Unkraut« können Anklänge an die NS-Sprache gesehen werden, wenn sie in herabwürdigender Weise wie in den beiden entsprechenden Kapiteln gebraucht werden und zur Entmenschlichung beitragen. »Die Übernahme dieser Terminologie als Überschrift, also nicht auf der Ebene der Figurenrede, zeigt auch das flächendeckende Eindringen der NS-Phraseologie« (Kastberger/Polt-Heinzl, S.17). Durch die Pest-Metapher wird auch von eigener Schuld oder Mittäterschaft abgelenkt, da es gegen die Seuche keine eigene Verantwortung oder Handlungsmöglichkeit gibt.

Die Bezeichnung der Jugendbande als »Unkraut« (38 f.) ist als Anspielung auf die »NS-Terminologie vom ›lebensunwerten« Leben (ebd., S. 29) zu verstehen. Diese unterläuft Horváth dann aber im nächsten Kapitel, als er das Unkraut im eigentlichen Sinne im Wald beschreibt.

Aber auch im Aufsatz des Schülers Franz Bauer werden die NS-Begriffe vom »heimische[n] Arbeitsmann« und dem »Volksganze[n]« wiederholt (10 f.).

Der gesamte Text ist durchzogen von sehr bewusst eingesetzten sprachlichen Mitteln. Die häufigsten sind der Parallelismus in der Satzstruktur, Anaphern und Alliterationen, aber auch Gegensätze und Wiederholungen. Eine Passage, in der das besonders deutlich wird, ist die Gegenüberstellung von Pfarrhaus und Kirche bei dem Besuch beim Dorfpfarrer.

    Die Kirche ist ein strenger Bau, das Pfarrhaus liegt gemächlich da. Um die Kirche herum liegt der Friedhof, um das Pfarrhaus herum ein Garten. [...] Im Garten des Todes blühen die weißen Blumen, im Garten des Pfarrers wächst das Gemüse. (42 f.)

Durch die vielen, oft auch miteinander verbundenen Motive und Metaphern, die sich durch den gesamten Roman ziehen, entsteht trotz der äußerlichen Kargheit der Sprache eine sehr bildhafte, dichte und bedeutungsintensive Erzählweise.

Die Verbindung einzelner Motive untereinander gelingt auch durch strukturelle Erzählelemente, wie die Bildung ganzer Motivketten. Hier sind zum Beispiel die biblisch-religiösen Motive zu nennen, die eine Gruppe bilden und die schon an den Kapitelüberschriften deutlich werden: »Adam und Eva«, »Der römische Hauptmann«, »Die Vertreibung aus dem Paradies«, »Über den Wassern«.

Verschiedene Leitmotive sind für das Verständnis des Romans fundamental. Durch sie entwickelt sich die Handlung und sie sind für alle drei Handlungsstrukturen, die detektivische, die religiöse und die sozialkritische Struktur prägend. Teilweise verändern oder verbinden sich Motive auch und zeigen so beispielsweise die innere und äußere Wandlung des Lehrers an.

Das wichtigste Motiv, das bereits im Titel auftaucht, ist das Gottesmotiv. »Es ist das Gegenmotiv zum Faschismus und zur Feigheit des Erzählers« (Patzer, S. 47). Dieses Motiv ist im ganzen Roman präsent, mit ihm sind wichtige andere Leitmotive verbunden und es ist einer großen Wandlung ausgesetzt, die sich in der inneren, moralischen Wandlung des Ich-Erzählers ablesen lässt. Sein Weg geht von der Entfernung von Gott, dem Verlust seines Glaubens über die Akzeptanz der Existenz eines strafenden, schrecklichen Gottes, den er jedoch ablehnt, bis zur Erkenntnis eines Gottes der Wahrhaftigkeit und der Gerechtigkeit, die sich in der inneren Stimme des eigenen Gewissens widerspiegelt.

Ein wichtiger Motivkomplex, der bereits mit Kapitel zwei, »Es regnet«, eingeführt wird, besteht aus den Motiven Schuld und Strafe, die immer mit Regen in Zusammenhang stehen. Dies verweist auf die biblische Sintflut als Symbol für die Strafe Gottes. Bereits bei der Prügelei der Schüler, in die der Lehrer zwar eingreift, dann jedoch vor der augenscheinlichen Kälte und Verständnislosigkeit der Jugend vor seinen Werten kapituliert, regnet es. Dies wiederholt sich bei der Suche nach dem verschwundenen N im Zeltlager, bei der der Lehrer schon weiß, dass sie ihn nicht mehr lebend finden werden, und setzt sich schließlich in der Nacht des Selbstmords von T fort, in dem Julius Caesar ihn mit einer Falle stellen will und der Lehrer schon das »Netz« ahnt, in das der Fisch gehen wird. Das Thema der Schuld wird im Roman sowohl als juristische Schuld vor Gericht behandelt, noch stärker aber bestimmt es die religiöse Handlungsstruktur. »Die innere Auseinandersetzung des Lehrers mit Gott und mit den Fragen von Schuld und Strafe ist ein Leitthema des Romans« (Kaul/Pahmeier, S. 14). Schuld kann in diesem religiösen Kontext auch mit der Erbsünde in Verbindung gebracht werden, die durch das Gespräch des Lehrers mit dem Pfarrer in den Roman kommt und hinter der die Vorstellung eines strafenden, schrecklichen Gottes steht. Diese findet sich beispielsweise in den Kapiteln »Adam und Eva« und »Vertreibung aus dem Paradies«. Im letzten Kapitel »Über den Wassern« hat der Lehrer dann durch seine innere Wandlung und die äußere Abreise aus seinem Land die Sphäre der Schuld, der Sintflut, verlassen.

Auch das Motiv des Fisches stammt aus dem religiösen Kontext, da es als christliches Symbol für Jesus Christus als Erlöser steht. Julius Caesar überträgt es jedoch in seiner Theorie des anbrechenden »Zeitalters der Fische« (27) auf die Gefühlskälte der jungen Generation, der elementare Werte wie Mitgefühl und Menschlichkeit fehlen und die der faschistischen Ideologie des totalitären Staates treu ergeben ist. Aufgrund seiner Emotionslosigkeit und Reduktion auf ein reines Beobachten der Umgebung konzentriert sich das Motiv »Fisch« schliesslich ganz auf die Figur des Schülers T (obwohl auch der Lehrer teilweise Ähnlichkeit mit dem unbeteiligten Beobachten des Fisches hat).

Eine zentrale Bedeutung hat das Augenmotiv, das in sehr verschiedenen Ausprägungen im gesamten Roman vorkommt. In der sozialkritischen und der kriminalistischen Handlungsstruktur sind es die »Fischaugen« des N, die zum Motiv für die Folgen der Emotionslosigkeit der Jugend werden und die schließlich den entscheidenden Hinweis zum wahren Täter geben. In ihm verschmilzt das Motiv des Fisches mit dem der Augen. Diese finden sich noch in verschiedenen anderen Kontexten. Zum einen ist hier Gottes »stechender, tückischer« Blick (89) zu nennen, solange der Lehrer diese alttestamentliche Gottesvorstellung des Pfarrers teilt. Diese wandeln sich dann zu dem Bild der Augen Evas und Ts Mutter als herbstliche Seenlandschaft der Heimat, in denen der Lehrer schließlich Gott erkennt. Dies ist jedoch nun ein Gott der Wahrheit, des Friedens und der Gerechtigkeit (vgl. 142). Daneben kommt es in den »Diebsaugen« (142) von Eva und den vermeintlichen »Rehaugen« von Ts Mutter zu Variationen des Themas. Außerdem sind noch zu nennen die Kinder der Heimarbeiter, die den Erzähler »groß« und »seltsam starr« ansehen (42) und die alte Frau, die Eva mit ihrer Bande überfällt, die blind ist.

Auch »Die Neger« sind ein wichtiges Motiv, das zudem eine strukturelle Bedeutung hat, da es mit der Überschrift des ersten Kapitels und dem letzten Satz des Romans einen Rahmen bildet. Von seiner konkreten Bedeutung wird es im Laufe des Romans immer mehr zum »Synonym für die zu Außenseitern Deklassierten, [...] Nichtangepassten« (Tworek, Kommentar zu 182).

Stilistisch ist der Text geprägt von dem Nebeneinander sprachlicher Ebenen und zudem gespickt mit Zitaten und literarischen Verweisen, beispielsweise Bibelzitaten, Anspielungen auf Episoden aus der Geschichte des alten Rom und Verweise auf Philosophen und Denker wie Thales von Milet, Anaximander oder Blaise Pascal. Diese Themenkreise und Zitate charakterisieren jeweils einzelne Figuren, wie beispielsweise den Direktor (römische Geschichte) oder den Pfarrer (Bibelstellen und Philosophen).

Generell hat die Umgangssprache vieler der Figuren einen dialektalen Einschlag aus dem süddeutschen oder österreichischen Raum, beispielsweise Julius Caesar und der Lehrer:

»Langweilens mich nicht, sagte ich« (25).

»Auch wenn ich Sie langweil, hörens mir zu, sonst werd ich wild!« (25)

Oder ein Schüler im Zeltlager: »Schauens mal, was dort anmarschiert kommt!« (36)

Auch gibt es zahlreiche österreichische Ausdrücke im Roman:

»Der Sarg lag schon drunten« (30).

»Es ist immer dieselbe Bagage« (39).

»Du denkst eh immer nur an lauter solche elende Fetzen« (93).

»Sie war fünfzehn Jahre alt, und du hast sie sekkiert [...]« (93).

Damit dringen die Umgangssprache und die authentische Lebenswirklichkeit in den literarischen Text ein. Hier kann auch ein Anklang an die volksnahe Sprache, die für jeden Leser und jede Leserin verständlich sein sollte, gesehen werden, die in Horváths Volksstücken vorherrschend ist (vgl. Urban, S. 51).

Ein besonderes stilistisches Mittel ist die Verschränkung ganz verschiedener Sprachebenen von Fachsprachen oder Sondersprachen im Roman, die jeweils zu einer Lebenswirklichkeit gehören und oft entlarvenden Charakter haben.

Am auffälligsten ist der aufgesetzte »Bildungsjargon« (vgl. Kaul/Pahmeier, S. 98) des Bäckermeisters N, dessen Sprache von einer besonders gestelzten Ausdrucksweise, pseudobelesenen literarischen Anspielungen und lateinischen Zitaten wimmelt. Er ist ein deutliches Beispiel für die von Horváth vor allem in seinen Volksstücken eingesetzte Methode der »Demaskierung des Bewusstsein« (ebd., S. 98) durch Sprache. Vor allem der beschränkte Typus des Kleinbürgers, der mehr darstellen will, als er ist, und hinter dessen vorgegebener Bildung oft Rohheit und Grausamkeit lauern, ist ein typisches Beispiel dieser sozialkritischen Methode Horváths.

So beginnt er die Sprechstunde mit dem Lehrer mit: »Mein Hiersein hat den Grund« (was vom Lehrer in der Wiederholung später ironisch gebrochen wird), und verabschiedet sich mit der als Drohung gemeinten Anspielung auf Shakespeares’ Julius Caesar mit: »Bei Philippi sehen wir uns wieder!« (17). Auch im Interview mit der Zeitung wird er mit einem lateinischen Zitat wiedergegeben (vgl. 80).

»Horváth zeichnet präzise Sprachporträts, um ihre Denk- und Sprechweise satirisch zu entlarven. In diesen Sprachporträts sind verschiedene Elemente verschmolzen: ein gestelzter ›Bildungsjargon [...], Propagandaphrasen, die durch ihre schiefe Bildlichkeit lächerlich wirken, aber beängstigend durch ihre Aggressivität [...]« (Kaiser, S. 61, In: Tworek, Kommentar 193).

Es gibt außerdem die religiöse Bildsprache, der sich vor allem der Lehrer, aber auch der Pfarrer bedient. Sie begleitet den Weg des Lehrers zurück zu Gott, wirkt aber mit ihren aufgeladenen Symbolen auch als Kontrast zur direkten, kalten und technokratischen Sprache des Faschismus.

Außerdem kommen im Roman die Verwaltungs- und Justizsprache vor (im Gespräch mit dem Direktor und vor Gericht) sowie die Fußballsprache, im Kapitel »Der Tormann» sowie bei Gedanken an den Schüler W und seine Begeisterung für Fußball. 

Die militärische Sprachebene steht in direktem Bezug zur sozialkritisch-politischen Handlungsstruktur des Romans und zu Versatzstücken des NS-Jargons. Dazu gehören beispielsweise die Überschriften »Der totale Krieg«, »Die marschierende Venus« und »Der verschollene Flieger«. Ebenso viele Begriffe, die im vormilitären Zeltlager gebraucht werden.

Die Perspektive des rein personalen Ich-Erzählers bestimmt zwar den Roman; aus seinem Blickwinkel wird das Geschehen erlebt und reflektiert. Doch besteht dieser Erzähler zugleich aus einem berichtenden und beobachtenden Ich, und aus einem erlebenden und reflektierenden Ich (vgl. Krischel, S. 82). Es kommt zu einem häufigen Wechsel zwischen beiden Erzählebenen, die oft durch Tempuswechsel vom Präteritum (berichtendes Ich) zum Präsens (reflektierendes Ich) angezeigt werden. Dies bedingt eine Vergegenwärtigung und steigert die Direktheit des Geschehens.

Außerdem wird die einseitige, subjektive Perspektive des Ich-Erzählers auch durch einige andere in den Text eingestreute Stimmen oder andere Medien erweitert. So beispielsweise durch die vielen Dialoge, die den Roman prägen, aber auch belauschte Gespräche (wie das von Annie und ihrer Freundin aus dem Mädchenlager im Wald). Dazu kommen Briefe und vor allem das Tagebuch Zs, in dem auch die ungefilterte Perspektive der im Mittelpunkt des Romans stehenden Jugend zu Wort kommt. Auch Radio und Zeitungstitel, also »Stimmen« der beiden Massenmedien, die das totalitäre Regime auch zu Propagandazwecken einsetzt, brechen die Perspektive. So gelingt beispielsweise eine andere Sichtweise auf den Lehrer von außen, in dem man ihn als den angepassten Mitläufer sieht, der er über große Strecken ist, denn im Interview gibt er vollkommen gegensätzliche Ansichten von sich (vgl. 78 f.).

Veröffentlicht am 25. Oktober 2023. Zuletzt aktualisiert am 25. Oktober 2023.