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Jugend ohne Gott

Kapitel 19 + 20: »Der Mann im Mond« und »Der vorletzte Tag«

Zusammenfassung

In der Nacht schleicht sich der Lehrer aus dem Lager, um Z und Eva bei ihrem heimlichen Treffen abzupassen und mit ihnen zu sprechen. Er will ihnen auch gestehen, dass er es war, der das Kästchen aufgebrochen hat. Während er auf die beiden wartet, blickt er zum Mond auf und sinniert über den Mann im Mond, der von oben herunterspucke und sich um nichts kümmere.

Als Eva schließlich spät kommt, umarmen und küssen sich die beiden und er ist immer mehr von Eva und ihrer Schönheit fasziniert. Er wünscht sich, ihre Augen zu sehen und gesteht sich ein, dass sie ihm immer mehr gefällt. Zwar ruft er sich innerlich immer wieder dazu auf, zu den beiden hinzugehen und seine Tat und seine Mitwisserschaft zu gestehen, doch stattdessen beobachtet er beide beim Liebesspiel.

Schließlich nimmt er sich vor, es Z am nächsten Morgen ganz früh zu gestehen. Während seines Rückwegs durch den dunklen Wald meint der Lehrer in ein Gesicht zu fassen, zuvor hatte er bereits Schritte gehört. Er wagt dann vor lauter Angst nicht, weiterzugehen und wartet, bis es wieder hell wird im Wald.

Da der Lehrer nach der Nacht im Wald zurück im Lager erst spät aufwacht, sind die Schüler schon unterwegs zur nächsten Wehrübung und der Lehrer kann nicht mehr mit Z sprechen, um ihm zu gestehen, dass er es war, der das Kästchen aufgebrochen hat.

Als die Gruppe schließlich zurückkehrt, fehlt der Schüler N und Z hat zerkratzte Hände und seine Kleidung ist zerrissen. Der Lehrer versucht nun endlich, mit ihm zu sprechen, durch das Verschwinden von N steigt Angst in ihm auf. Allerdings berichtet Z ihm, dass N ihm das Aufbrechen des Kästchens gestanden und um Verzeihung gebeten habe. Und er habe ihm verziehen.

Obwohl der Lehrer weiß, dass dies eine Lüge ist, fragt er nicht weiter nach. Er ahnt inzwischen, dass es zu spät für sein Geständnis ist und fühlt sich schuldig. Er wirft sich vor, aus Feigheit und Scham nicht gehandelt zu haben, als er das Unheil noch hätte abwenden können. Er sinniert über Schuld und die Erbsünde und fühlt sich in einem Labyrinth der Schuld, aus dem es kein Entkommen gibt (vgl. 74).

Schließlich ziehen alle aus, um N zu suchen, der Lehrer erwartet jedoch nicht mehr, ihn noch lebend zu finden. Die Suche bleibt schließlich erfolglos. Der starke Regen erinnert den Feldwebel an die biblische »Sündflut« (ebd.) und er möchte gleich die Polizei über das Verschwinden von N informieren. Der Lehrer rät, noch bis zum nächsten Tag abzuwarten, in der vorgegebenen Hoffnung, N hätte sich nur verirrt.

Analyse

Das näcste Kapitel, das das nächtliche Treffen von Z und Eva beschreibt, das vom Lehrer heimlich beobachte wird, gleicht mit seinen kurzen, paraktaktischen Sätzen und den dazwischengeschalteten inneren Monologen des Erzählers wieder einer szenischen Darstellung in dramatischer Form. Die Szene ist eingeschränkt auf die Sicht des Beobachters, der Leser sieht nur das, was auch der Lehrer sieht bzw. am Schluss im dunklen Wald nicht mehr sehen und nur noch ertasten kann.

Der Erzähler macht sich selbst weiß, nur heimlich zu dem Treffen von Z mit seiner Geliebten gekommen zu sein, um die beiden zur Rede zu stellen und um Schlimmeres zu verhindern. Doch

    sein moralischer Impuls, vor beiden zuzugeben, dass er es war, der das Tagebuch gelesen hat, ist schwächer als die erotischen Reize vor seinen Augen. Hier entsteht ein neuer innerer Konflikt. (Kaul/Pahmeier, S. 45)

Der Lehrer schwankt erneut zwischen seiner moralischen Verpflichtung, seine Schuld einzugestehen und damit einen Unschuldigen vor seiner »Verurteilung« zu retten, also aus der Lebensgefahr, in der er schwebt, und der sexuellen Anziehung, die Eva auf ihn ausübt: »Sie gefällt mir immer mehr« (69). Immer wieder ruft er sich selbst zu, nun aber zu den beiden zu gehen (»Geh hin! Sag, dass du das Kästchen erbrochen hast [...] Geh hin, geh! [...] Geh hin! Ja, sofort –«), nur um dann wieder ihren schönen Rücken zu bewundern oder sich zu wünschen, ihre Augen zu sehen. Diese weitere Variation des Augenmotivs wird sich später im Gerichtssaal noch einmal wiederholen.

Auch das Ende des Kapitels, an dem der »Mann im Mond« aus der Kapitelüberschrift wiederholt wird, ist in szenischer Form und in zeitdeckendem Erzählenzeit wiedergegeben und steht nur im Präsens, was die Spannung erhöht, da sich alles im gegenwärtigen Moment abzuspielen scheint. Dazu trägt auch das unheimlich wirkende Gesicht bei, in das der Lehrer im Dunkeln zu greifen meint und von dem sich später herausstellt, dass es das Gesicht Ts war. Der letzte Satz: »Spuck mich nur an, Mann im Mond!« (71) verweist darauf, dass der Erzähler »sich bei seinem moralischen Scheitern an den eigenen Vorsätzen von einer gottähnlichen Instanz beobachtet fühlt« (Kaul/Pahmeier, S. 46).

Am nächsten Tag schiebt der Lehre seinen Vorsatz, Z die Wahrheit über das Kästchen zu sagen, weiter hinaus. Auch als die Klasse vom Geländegang zurückkommt und er mit Z spricht, gelingt ihm das Geständnis nicht. Der einsetzende strömende Regen nimmt das Motiv der »Sintflut« wieder auf, das immer in Zusammenhang mit dem Schuld-Motiv steht. Darauf weist auch die Tatsache hin, dass der Schüler N verschwunden ist. Die Ahnung davon, was passiert sein könnte und seine eigene Schuld daran wird dem Lehrer bald klar, als er bemerkt, das Schüler Z mit zerkratzen Händen und zerrissener Kleidung zurückgekommen ist und ihn belügt über ein vermeintliches Geständnis Ns, der ihn sogar für das Aufbrechen des Kästchens um Verzeihung gebeten hat.

Nun hadert der Lehrer mit sich, dass er nicht zur richtigen Zeit den Mut fand, sein Vergehen einzugestehen, zunächst aus Scham, dann aufgrund seines eigenen sexuellen Interesses an Eva und er ahnt schon: »Es ist zu spät« (73). Und er erkennt, dass es nicht möglich war, mit seinem freien Willen selbst »Gott« zu spielen, zu verurteilen oder freizusprechen: »Mit meinem freien Willen wollte ich einen dicken Strich durch eine Rechnung machen, aber die Rechnung war bereits längst bezahlt« (73).

Während der Lehrer über seine eigene Schuld und die generelle Schuldhaftigkeit des Menschen, das »ewige[ ] Meer der Schuld« (74) nachdenkt, regnet es immer stärker. Der Schüler N wird trotz intensiver Suche nicht gefunden und auch der Feldwebel spricht von der »Sündflut« (ebd.). Der Zusammenhang der Motive Schuld / Erbsünde und Regen wurde schon mit dem 2. Kapitel »Es regnet« eingeführt. In diesem bezieht es sich noch auf die Schuld des Lehrers, sich trotz seiner moralischen Ideale und humanistischen Werte der Ideologie des totalitären Regimes nicht zu widersetzen. Nun spielt sie auf seine Feigheit an, nicht die Wahrheit über das aufgebrochene Kästchen zu sagen und damit schlimmere Folgen als den eigenen Ansehensverlust zu vermeiden.
Vor dem Zusammenhang der sich ankündigenden »Sündflut« und der Erkenntnis seines eigenen Unvermögens, alle Beteiligten gottgleich zu retten und nun mit dem Verschwinden Ns die »Buße und Strafe für die Schud Eures Daseins« zahlen zu müssen (74), muss der Lehrer sich nun eingestehen, dass die strafende Gottesvorstellung des Pfarrers doch richtig ist.

    Um sich von seinem eigenen moralischen Scheitern zu entlasten, macht der Lehrer am Ende also nicht in erster Linie sich selbst, sondern den strafenden, schrecklichen Gott für das entstandene Leid verantwortlich. (Kaul/Pahmeier, S. 48)
Veröffentlicht am 25. Oktober 2023. Zuletzt aktualisiert am 25. Oktober 2023.