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Jugend ohne Gott

Kapitel 23 + 24: »Mordprozeß Z oder N« und »Schleier«

Zusammenfassung

Bei Beginn des Prozesses sind der Saal und die Pressetribüne überfüllt, vor dem Justizpalast stehen noch 300 weitere Menschen, die hinein wollen. Vor allem die sensationslüsternen Damen sind begierig darauf, den Angeklagten Z zu sehen. Alle Beteiligten, auch der Feldwebel, der Schüler R, die Waldarbeiter und die Eltern von Opfer und Angeklagten sind neben dem Lehrer und Eva als Zeugen geladen.

Der angeklagte Schüler N sieht unverändert aus, ist nur bleicher geworden und zwinkert mit den Augen, da ihn das Licht stört. Als er in den Saal kommt, entdeckt er seine Mutter und starrt sie an, ohne weitere Emotionen zu zeigen. Sie dagegen sieht ihren Sohn kaum an, ist jedoch auch dicht schwarz verschleiert.

Die Begegnung mit dem Vater des Opfers, dem Bäckermeister N, verläuft voller Hass und der Lehrer nimmt an, dass er ihn am liebsten auch erschlagen würde.

Der Prozess beginnt und die Anklage gegen Z lautet nicht auf Totschlag, sondern auf »meuchlerischen« Mord (84). Z muss von seinem Leben erzählen und auch seine bisherigen Zukunftspläne schildern. Er schildert seine Kindheit als einziges Kind der Familie, die normal verlaufen war, bis auf die Tatsache, dass sein Vater früh verstorben war. Als bisherige Berufswünsche gibt er Erfinder oder Postflieger an.
Er schildert den Alltag im Zeltlager und charakterisiert seinen Lehrer als einen, der »immer nur sagte, wie es auf der Welt sein sollte, und nie, wie es wirklich war« (85). Diese Ansichten seien ihm oft zu jung gewesen.

Die Frage, ob er an Gott glaube, bejaht Z und sagt, dass er seine Tat sehr bereue, was den Lehrer allerdings nicht überzeugt. Dann schildert Z den Tathergang. Er gibt an, N am Mordtag während einer der Wehrübungen zufällig in der Nähe der Höhlen getroffen zu haben. Er habe eine große Wut auf N wegen des von ihm aufgebrochenen Kästchens gehabt und daher angefangen, mit ihm zu raufen. Nachdem N ihn fast den Felsen hinabgestoßen habe, hätte er dann einen Stein nach ihm geworfen. An mehr könne er sich nicht mehr erinnern. Erst als er zurück im Lager war und in sein Tagebuch geschrieben hatte, setze seine Erinnerung wieder ein.

Er gibt zu, dass N das Aufbrechen des Kästchens geleugnet habe und er sich sein Geständnis diesbezüglich nur ausgedacht habe, um den Verdacht von sich abzulenken. Z gibt an, die Mordwaffe, den Stein, wiederzuerkennen, verneint aber, dass ihm der ebenfalls am Tatort gefundene Bleistift und der Kompass gehörten.

Sein Verteidiger nutzt die Chance und versucht darzulegen, dass der Kompass vielleicht einer dritten Person gehören könnte, die auch am Tatort war, was Z aber verneint. Die Strategie des Verteidigers ist es dabei, die Schuld auf Eva zu verlagern, die er als mögliche dritte und damit tatverdächtige Person ins Spiel bringt. Z wehrt sich energisch dagegen und bittet den Verteidiger sogar, sein Mandat niederzulegen, da er selbst dafür bestraft werden möchte, was er getan habe.
Der Verteidiger verweist ihn darauf, was er mit einem solch unüberlegten Geständnis seiner Mutter antue. Darauf blicken Mutter und Sohn sich an, doch die Mutter ist tief verschleiert und ihr Gesicht daher kaum zu sehen.

Analyse

Die Überschrift des Kapitels zum Prozessauftakt evoziert die Frage, ob in dem beginnenden Mordprozess eigentlich das Opfer N oder doch der des Mordes angeklagte Z im Mittelpunkt steht. Tatsächlich weist einzig die Präsenz des Bäckermeisters N in diesem Kapitel auf das Opfer N hin. Es sind alle Zeugen geladen, der Erzähler betont besonders seine und Evas Präsenz, die auch sprachlich durch den Parallelismus in der Satzstruktur in besonderem Zusammenhang eingeführt werden. Auch wandern seine Gedanken zu Eva in die Zelle.

In diesem Kapitel wird der Tempuswechsel, der unvermutet bei dem Gedanken an Eva geschieht (vgl. 83, Z. 17) eingesetzt, um eine Intensivierung und Konzentrierung auf die Geschehnisse des Prozesses zu erreichen. Sprachlich erscheint auch dieser in knapper, parataktischer Syntax der dramatischen Form eines Theaterstückes nahe.

Bereits mit dem Eintreten Zs tritt auch das Mutter-Sohn-Verhältnis in den Mittelpunkt, wenn sich die beiden ansehen. Die Mutter jedoch bleibt aufgrund ihres Schleiers gesichtslos und kann nur »schwarz und schwarz« (83) wahrgenommen werden. Von Seiten des Vaters von N spürt der Lehrer den ihm schon vertrauten Haß.

Der Fokus auf dem schwierigen Mutter-Sohn-Verhältnis bleibt auch im nächsten Kapitel erhalten. So wird er bei einem Blick auf seine Mutter sofort befangen, als er sein Leben erzählen soll. Sowohl die von der Mutter wie auch die vom Sohn gezeigten Emotionen scheinen nicht echt zu sein. So führt die Mutter zwar ihr Taschentuch an die Augen, als vom verstorbenen Vater ihres Sohn die Rede ist, dass sie dies jedoch oberhalb des Schleiers tut, weist auf nur vorgetäuschte Tränen hin. Ebenso klingt die angebliche Reue von Z für den Erzähler nicht echt (vgl. 84 f.).
So weist das Symbol des Schleiers, der sowohl in der Kapitelüberschrift, als auch zu Beginn und am Ende des Kapitels wieder aufgegriffen wird, einerseits auf den das Gesicht und auch die Emotionen der Mutter bis zur Unkenntlichkeit verhüllenden Schleier hin: »Alle schauen [die Mutter] an, aber sie können nichts sehen vor lauter Schleier« (88). Sinnbildlich steht der Schleier jedoch für alles, was im Prozess verschleiert und ungewiss bleibt. So bleibt Z zwar bei seinem Geständnis, will für seine angebliche Tat sogar bestraft werden, kann sich aber an wichtige Details, die zur Tat führten, angeblich nicht mehr erinnern, vom kompletten Tathergang selbst weiß er nichts mehr. Auch ob der am Tatort gefundene Kompass wirklich ihm gehört oder nicht, hat er vergessen.

In der Schilderung des Lehrers durch den Schüler Z klingt an, dass dieser von den Schülern konträr zum Zeitgeist erlebt wird (weshalb sie ihm auch den Spitznamen »Neger« gaben, als Metapher für alle, die nicht in das Raster des faschistischen Menschenbildes passen). Denn er beschreibt den Lehrer als jemanden, der »immer nur sagte, wie es auf der Welt sein sollte, und nie, wie es wirklich ist« (85). »Er charakterisiert ihn damit [...] als einen Idealisten und Moralisten« (Kaul/Pahmeier, S. 51), auch wenn der Lehrer selbst diese inneren Haltungen zu diesem Zeitpunkt noch immer im Verborgen hält und damit gewissermassen auch verschleiert.

Veröffentlicht am 25. Oktober 2023. Zuletzt aktualisiert am 25. Oktober 2023.